5 Denkfehler bei Work-Life-Balance

von Sebastian Bluhm

Viele moderne Unternehmen werben mit einer guten Work-Life-Balance um neue Talente. Sie versprechen ihnen verschiedene Benefits, die die Motivation der neuen Mitarbeiter erhöhen soll. Dennoch ist das nicht zwangsläufig der Fall. Doch auch in anderer Hinsicht erscheint das Denkmodell „Work-Life-Balance“ heute fragwürdig.

Hintergrund zu Work-Life-Balance

Als Work-Life-Balance bezeichnet man das ausgewogene Verhältnis zwischen dem Arbeits- und Privatleben berufstätiger Menschen. Denn sind Job und Privatleben besser vereinbar, können die Mitarbeiter ihrer Arbeit nachgehen, ohne ihr Privatleben zu vernachlässigen. Nach diesem rigiden Arbeitsmodell sind Job und Privatleben strikt getrennt. Jeder Bereich erhält feste Zeiten, während derer die erforderlichen Aufgaben erledigt werden. Work-Life-Balance entstand erstmals in den 1980er Jahren und versuchte einen Weg für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aufzuzeigen, da in dieser Zeit zunehmen Frauen ins Berufsleben einstiegen.

Unternehmer versprechen sich von dem Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben eine höhere Arbeitsmotivation und Leistungssteigerung. Und eine stärkere Bindung an die Firma, weil zufriedene Mitarbeiter dem Betrieb erhalten bleiben. Darüber hinaus sollen spezielle vom Arbeitgeber gesponserte Maßnahmen die Mitarbeitergesundheit verbessern. Vor allem Führungskräfte sind oft überlastet: Sie machen unter der Woche Überstunden und sitzen auch am Wochenende oft am Schreibtisch. Daher schaffen sie es nicht, Sport zu treiben und sich gesünder zu ernähren.

„Work-Life-Balance ist ein in den 80er Jahren gebautes Haus mit mangelhafter Bodenplatte.“

Grunddenkfehler: Arbeit und Leben sind getrennt

Neben der Überzahl an Befürwortern der Work-Life-Balance gibt es Experten, die den Sinn dieses Konzepts anzweifeln. Das Arbeitskonzept basiert auf der Annahme, dass Jobs stressig und frustrierend sind. Aus diesem Grund würde an einen Ausgleich zum Job benötigen, der jederzeit auch realisierbar sein sollte. Die Balance wird über befriedigende Freizeiterlebnisse mit der Familie, mit Freunden und Hobbys hergestellt.

Wie die Bezeichnung Work-Life-Balance schon darstellt, wird zwischen der Arbeit und dem Leben unterschieden. Es suggeriert damit, dass Arbeit nicht zum Leben gehört und quasi der Spaß erst nach der Arbeit beginnt. Allein der Versuch eine Balance zwischen Arbeit und Leben zu schaffen, wird krachend scheitern an der unsauberen Begrifflichkeit. Damit ist meiner Meinung nach jedoch das Konzept schon auf einer unsauberen Grundlage aufgestellt oder kommuniziert worden.

Folgende 5 Denkfehler sind mir beim Konzept Work-Life-Balance aufgefallen:

1. Arbeit und Privatleben lassen sich ausbalancieren

Das schöne Symbolbild der Waage aus Balance für das Leben schwebt bei Work-Life-Balance im Kopf. Diese romantische Annahme führt jedoch zu keinem guten Resultat. Falls ich versuche alle Themen und Anforderungen in ein Gleichgewicht zu bringen, werde ich in diesem Zustand untergehen. Es ist gefährlich und unrealistisch, dass man allen Bereichen und Themen den gleichen Energiewert zubilligt, um hier alles fein säuberlich auszubalancieren. So funktioniert kein erfolgreiches Leben. Mit diesem Modell wird man im besten Fall im Mittelmaß landen, jedoch bei keinem Thema wirklich zufrieden werden.

Unser Leben beseht immer aus Extremen und Dynamiken, die einen Wechsel der Balance und Priorität verlangen. Es gilt in diesem Fall ein gesundes Maß an Schwingungen zu finden, um die Herausforderungen des Lebens gut meistern zu können.

2. Arbeit ist eine Belastung

Der Mitarbeiter bekommt den Eindruck, dass er sich die während der Arbeitszeit entgangene Lebensfreude in seiner Freizeit beschaffen muss. Diese Annahme suggeriert, dass Job und Leben (Freizeit) zwei unterschiedliche Dinge sind. Das ist falsch, weil die Arbeit zum Leben gehört. Und das nicht nur aus finanziellen Gründen. Sie ist ein Teil der eigenen Identität. Arbeite ich in meinem Traumjob, macht er mir sogar dann viel Spaß, wenn ich Überstunden machen muss. Außerdem ist es für mich höchst motivierend, wenn ich dabei erfolgreich bin. Empfinde ich meinen Job als Belastung, hat das andere Gründe wie beispielsweise schlechte Bezahlung und fachliche Überforderung.

3. Arbeit und Privatsphäre lassen sich trennen.

Ich erledige meine Arbeit im Büro. In der Freizeit beschäftige ich mich mit anderen Dingen. Diese Vorstellung basiert ebenfalls auf einem Irrtum. Kommt mir beim Hanteltraining eine zündende Idee für mein neues Projekt, vergesse ich sie doch nicht, weil ich im Privat-Modus bin. Denn schließlich weiß ich, dass gute Ideen Schätze sind, die es zu bewahren gilt. Außerdem ist mir bewusst, dass das menschliche Gehirn fast rund um die Uhr im Denkmodus ist.

4. Unmotivierte Mitarbeiter lassen sich mit ausreichend Freizeit zu Höchstleistungen bringen.

Auch das ist falsch. Habe ich innerlich gekündigt, werde ich sicher nicht mehr den vollen Output liefern. Allerdings könnte man mich eventuell mit bestimmten Benefits von der Abgabe meines Kündigungsschreibens abhalten. Entscheide ich mich dann fürs Bleiben, leide ich weiter an Arbeitsunlust. Und kann damit sogar zum Problem für die Firma werden. Man sollte auch immer hier bedenken, dass das Gegenteil von „Burn-out“ eben „Bore-out“ ist, also die krankmachende Langeweile.

5. Genügend Freizeit zieht die vom Unternehmen händeringend gesuchten Fachkräfte an.

Auch das stimmt so nicht. Arbeitskräfte, die nur von den Benefits angelockt werden, sind keine belastbaren High Potentials. Sie praktizieren lediglich Konsumverhalten. Hoch qualifizierte Talente hingegen wollen sich nicht ausruhen, sondern ihr Können unter Beweis stellen. Sie suchen die Herausforderung einer interessanten Arbeit mit Karrierechancen.

Sinn erlebe ich, wenn ich in meinem Traumjob arbeite. Und in einem Betrieb, der die Organisationsstruktur hat, die meiner Lebensweise annähernd entspricht. Sinn empfinde ich auch, wenn ich endlich den Job habe, der mir genügend Geld einbringt. Denn dann komme ich endlich aus dem seelisch belastenden finanziellen Engpass heraus. Sinn stiftend ist meine Arbeit auch dann, wenn es mich glücklich macht, Menschen zu helfen und ich bei Ärzte ohne Grenzen anfangen kann. Dann kann ich sogar mehr als 40 Stunden wöchentlich arbeiten, ohne meinen Job als Belastung zu empfinden. Sind Jobs von Natur aus sinnvoll, müssen sie nicht erst durch Benefits erträglicher gemacht werden. Darüber hinaus sollten sie sich den Bedürfnissen des Arbeitenden anpassen lassen. Und ihn beruflich weiterbringen, falls er dies

Korrekturversuch mit Work-Life-Blending

Work-Life-Blending nennt man die Vermischung von Job und Privatsphäre. Nachdem sich das Work-Life-Balance Konzept als nicht sonderlich zielführend erwiesen hatte, entwickelte man das Work-Life-Blending. Es basiert auf der Vorstellung, dass sich Arbeit und Freizeit besser vereinbaren lassen, wenn die Bereiche ineinander übergehen. Allerdings hat der Begriff ebenfalls einen negativen Beigeschmack: Auch hier wird das (Privat-)Leben getrennt von der Arbeit gesehen. Praktiziere ich Work-Life-Blending, arbeite ich an meinem häuslichen PC, wenn mir gerade gute Ideen kommen. Ich beantworte im Bus zur Arbeit dringende E-Mails via Smartphone. Und bin nach Feierabend in dringenden beruflichen Angelegenheiten telefonisch erreichbar. In vielen Büros mit hohem Digitalisierungsgrad wird die Arbeit heute auf diese Weise erledigt.

Wir brauchen einen Work-Leisure-Mix

Leisure time heißt übersetzt Freizeit. Wird der Begriff als Wortbestandteil des Work-Leisure-Mix Konzepts gebraucht, gibt er diesem eine positive Bedeutung. Die Freizeit wird mit der Arbeit vermischt. Unabhängig davon, ob es in dem Betrieb flexible Arbeitszeiten und andere Arbeitgeber-Benefits gibt. Der Job selbst wird nicht als Gegensatz zum (Privat)leben und als ausgleichsbedürftig angesehen. Außerdem gibt es keine Trennung zwischen Beruflichem und Privatem. Der Work-Leisure-Mix lässt sich vielfältig umsetzen.

Während der Mittagspause unterhalte ich mich mit Kollegen über Alltagsgeschehnisse und verschaffe mir so entspannende Momente. Umgekehrt habe ich die Möglichkeit, mit anderen Teammitgliedern bestimmte Arbeitsthemen beim gemütlichen Zusammensitzen nach Feierabend zu besprechen. Und kann sie am nächsten Morgen mit den Kollegen im Büro weiterdiskutieren. Ich kann dringende Arbeiten zu Hause und private Telefonate in der Firma erledigen.

Fazit: Das viel gelobte Work-Life-Balance Modell beruht auf einem folgenschweren Irrtum. Beim Work-Life-Blending ist das Privatleben ebenfalls das Gegenteil vom Arbeitsleben und getrennt von diesem. Allerdings kann dem Mitarbeiter das Arbeiten in Selbstverantwortung viel Freude bereiten. Beim Work-Leisure-Mix verschwimmen die Grenzen beider Bereiche. Die Arbeit kann in Abstimmung mit dem Team privat erledigt werden und Privates am Büroarbeitsplatz.





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